Wissenswertes über Faszien (v. Klaas Stechmann)

Was sind eigentlich Faszien?

Als Faszie wurde im ursprünglichen Verständnis das straffe muskuläre Bindegewebe bezeichnet, das den Muskel wie eine Schutzhülle umgibt und ihn gleichzeitig in allen einzelnen Fasern durchdringt. Der heutige Begriff ist dagegen weitergefasst. Unter Faszien verstehen wir heute alle faserigen Komponenten des Bindegewebes, die in einem kompletten Netzwerk durch unseren Körper ziehen, und zwar von außen nach innen, vom Groben zum Feinen und von Kopf bis Fuß. Zu diesem System gehören neben den oben genannten Muskelfaszien sämtliche Bänder, Sehnen, Gelenkkapseln, Organ- und Gefäßhüllen, die Hirnhäute und das Unterhautgewebe. Unser Bindegewebe ist ein komplett integriertes System, das die unmittelbare Umgebung jeder einzelnen Zelle darstellt. Zusätzlich ist es mit freien Nervenendigungen und Mechanosensoren ausgestattet, die Feedback auf mechanische Reize des Körpers geben. Dies bildet den Grundstein für unseren Körpersinn, die sog. Propriozeption. Wegen dieser Kontinuität und der reichlichen Versorgung mit Sinneszellen werden Faszien auch als das größte Sinnesorgan unseres Körpers bezeichnet. Zur Erklärung der dreidimensionalen Faszienvernetzung wird der Aufbau des menschlichen Körpers öfter mit einer Zitrusfrucht verglichen. Die Schale einer Zitrusfrucht hat Poren – genau wie unsere Haut – und dient der Abwehr sowie dem Austausch mit der Außenwelt. Die dicke weißliche Rinde entspricht unserem Unterhautfettgewebe. Schneidet man die Zitrusfrucht entlang des Äquators auf, so sieht man die einzelnen Segmente. Das saftige Fruchtfleisch entspricht unserem gut durchbluteten Muskelfleisch. In Form gehalten wird diese Masse von vielen einzelnen Membranen. Gut sichtbar sind die Umhüllungen der einzelnen Längsschnitte. Auch sie haben – genauso wie die Trennwände zwischen unseren Muskeln – eine Doppelschicht. Genau wie unser fasziales System bündeln auch die Membranen der Zitrusfrucht extrem viel Flüssigkeit. Letztendlich ist der weißliche Mittelpunkt als Zentralachse mit unseren Knochen vergleichbar.

 

Formen der Faszien 

Die oberflächliche Faszie (Fascia superficialis) beginnt direkt unter der Haut. Als subkutanes Bindegewebe hüllt sie den ganzen Körper ein. Würde man diese Faszie freipräparieren und alle anderen Organe entfernen, so hätte man immer noch ein perfektes Abbild des menschlichen Körpers. Die Muskelfaszie umhüllen jede einzelne Muskelfaser, Muskelfaserbündel sowie den gesamten Muskel. Sie sind formgebend und dienen dem Muskel als Widerlager zur Kraftentwicklung. Muskelfaszien verjüngen sich zu Sehnen, die den direkten Übergang von der Muskulatur zum Knochen darstellen. Die Hirnhäute bestehen ebenfalls aus Bindegewebe und hüllen das Rückenmark und Gehirn dreifach ein. Sie sind sehr sensibel und schmerzempfindlich. Ihre Beteiligung an Kopfschmerzen ist nachgewiesen. Weiterhin wird vermutet, dass sie als Spannungsmembran mechanische Kräfte weiterleiten, die auf den Schädel und die Wirbelsäule einwirken. Bänder und Gelenkkapseln kommen an Gelenken vor. Sie stabilisieren und schützen unsere Bewegungsorgane. Außerdem vermitteln sie unserem Körper die genaue Position seiner Gelenke und sind somit für Koordination und Gleichgewicht unumgänglich. Innerhalb der Gelenkkapsel befindet sich die für die Knorpelernährung wichtige Gelenkflüssigkeit. Seröse Membranen, z. B. Bauch und Rippenfell, umhüllen unsere innere Organe, stützen und schützen diese und sind auch an der Immunabwehr beteiligt. Letztendlich umschließt die extrazelluläre Matrix die Zellen unseres Körpers. Sie sorgt für Form und Halt der Zellen, umspült sie mit Wasser und Nährstoffen und sorgt für freie Beweglichkeit, Stabilität und Zugfestigkeit. Sie wird auch als »innerer Ozean« bezeichnet, da in ihr auch Lymphflüssigkeit, Hormone, Enzyme, Abbauprodukte und Antikörper vorkommen. Auch wenn es diese anatomische Untergliederung in einzelnen Strukturen und Funktionseinheiten gibt, sollte man sich stets vor Augen führen, dass wir quasi nur eine Faszie besitzen, die an verschiedenen Stellen des Körpers verschiedene Ausprägungen hat.

 

Funktionen der Faszien

Einbettung von Wasser

Die Funktionalität der Faszien ist stark von der Wassereinbettung bis in die feinste Faszienstruktur abhängig. Eine Faszie besteht zu ca. 68 % aus Wasser. Die Wassereinbindung sorgt für ein freies Gleiten verschiedener Faszienschichten gegeneinander und damit für eine schmerz- und störungsfreie Beweglichkeit. Die Wassereinlagerung ist darüber hinaus die Grundlage für die Gewebeversorgung, d. h. für die Versorgung mit Nährstoffen sowie den Abtransport von Abbauprodukten. Darauf basiert das Funktionieren aller Lebensprozesse. Neueste Forschungen belegen, dass feine Flimmerhärchen an den Zellaußenwänden für den Flüssigkeitstransport zuständig sind. Diese Flimmerhärchen sind offenbar auch für die Sensibilität und Reizverarbeitung, insbesondere auch den Schmerz, im betroffenen Gewebe verantwortlich. Um das Gewebe zu regenerieren und uns von Schmerzen zu befreien, müssen wir also den Flüssigkeitstransport im Bindegewebe anregen. Dies gelingt, indem wir unsere Faszien wie einen Schwamm auspressen, damit sie sich anschließend wieder vollsaugen können.

 

Anpassung an Belastung

Die faszialen Strukturen unseres Körpers befinden sich in ständigem Umbau. Nach einem halben Jahr ist ungefähr die Hälfte der kollagenen Fasern erneuert. Dies ermöglicht eine stetige Anpassung an alltägliche Belastung und auch die Chance, Fehlhaltungen und Verklebungen zu lösen, um letztendlich Schmerzen zu reduzieren. Denn durch spezifisches Training lässt sich das fasziale Gewebe umbauen, bzw. remodellieren, was im Wesentlichen durch Einlagerung von Myofibroblasten und Anbau von Kollagen geschieht.

 

Kontraktion und Stressreaktion

Auch bei Faszien sind Kontraktionen möglich. So kann sich beispielsweise die große Rückenfaszie ähnlich wie ein Muskel zusammenziehen. Diese Kontraktion geschieht durch Myofibroblasten und wird durch Neurotransmitter des sympathischen Nervensystems ausgelöst. Der Zusammenhang von Neurotransmittern und Zusammenziehen der Rückenfaszie deutet darauf hin, dass Stress einen direkten Einfluss auf Faszien haben kann.

 

Faszien als Sinnesorgan

Aufgrund der schier unendlichen Anzahl an Sinnesrezeptoren werden Faszien auch als das größte Sinnesorgan des menschlichen Körpers bezeichnet. Sie sorgen dafür, dass wir uns unserer Körperposition bewusst sind und adäquat auf unsere Umwelt reagieren können. Faszien sind zudem bei der Schmerzwahrnehmung beteiligt.

 

Kraftübertragung

Die Leistungsfähigkeit unseres Körpers hängt nicht nur von den Kondition des Herz-Kreislauf-Systems und unseren Muskeln ab, sondern auch erheblich von der Flexibilität und Integrität des Fasziennetzwerks. Sie halten die Muskelbäuche in ihrer Form und Können dadurch auch als Widerlager fungieren. Die sich zu einer Sehne verjüngende Muskelfaszie wirkt dann unmittelbar bei der Kraftübertragung auf die Gelenke.

 

Kontinuität

Die Entdeckung der Kontinuität, d. h. dass alles miteinander in Verbindung steht, ist ein zentrales Element vieler Therapieansätze, die mit Faszien arbeiten. Ein Muskel endet nicht in einer Sehne, die mit Faszien arbeiten. Ein Muskel endet nicht in einer Sehne, die am Knochen ansetzt, denn fasziale Anteile gehen in einen anderen Muskel über oder verstärken ein Band, was wiederum in eine andere Faszie übergeht. Die Idee der Kontinuität geht so weit, dass behauptet werden kann, dass der Mensch aus einem einzigen Muskel besteht, der in über 600 »Taschen« (Faszienhüllen) eingebettet ist. Die Verbundenheit betrifft allerdings nicht nur Muskeln und Knochen, sondern auch die inneren Organe, Arterien, Nerven und die Haut.

 

Quellen:

  • Direkt übernommen aus: Physio-Journal, Ausgabe 3/2018, Seite 4 & 5; Text: Klaas Stechmann
  • Stechmann, K. (2016): Faszien selbst behandeln. KVM – Der Medizinverlag, Berlin